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Lernen Sie japanisch aus Lehrbüchern? Dann werden Sie wahrscheinlich ebenso wie mit Englisch große Schwierigkeiten mit der Verständigung in Japan haben. Japanisch ist eine der wenigen Sprachen, die neben der Schriftsprache eine hiervon wirklich sehr stark abweichende Umgangssprache verwendet, die weit verbreitet ist.
Als ich das erste Mal nach Japan fuhr, hatte ich zuvor ein wenig japanisch mit Hilfe eines Lehrbuchs gelernt. In Japan angekommen, musste ich jedoch zu meinem Erstaunen feststellen, dass kaum jemand die mir aus dem Lehrbuch bekannten Floskeln wirklich im Alltag verwendete. Dies war für mich in gewisser Weise ein Schock. In der Familie wurde ein anderes Japanisch verwendet, als es in den Geschäften oder unter Freunden gesprochen wurde. Bei Führungen in Museen und anderen Sehenswürdigkeiten wiederum wurde ebenso ein anderes Japanisch verwendet, als es beispielsweise auf dem Bahnhof verwendet wurde. Auch in den Gaststätten und Restaurants war eine anderes Japanisch als das mir aus den Lehrbüchern vertraute gebräuchlich. Auf so etwas war ich nicht vorbereitet.
Glücklicherweise konnten mir meine japanischen Freunde in dieser misslichen Lage weiterhelfen. Mittlerweile ist es mir sogar möglich eine Reihe von japanischen Dialekten einigermaßen zu verstehen, wenngleich dies nicht immer ganz einfach ist. Als ich zum Beispiel vor einigen Jahren nach einem längeren Aufenthalt bei Tokyo nach Nagoya kam, verstand ich dort zunächst überhaupt nichts.
„Nagoya-ben“ ist eine insbesondere bei von Ausländern schwierig zu verstehende Sprache - aber man kann sich damit anfreunden.
„Osaka-ben“ ist auch als Sprache der japanischen Mafia (Yakuza) bekannt. In Aomori wiederum wird ein Japanisch gesprochen, dass selbst für viele Japaner ein Rätsel ist. Auf meinem Weg nach Hokkaido traf ich einige Leute aus Aomori. Deren Japanisch war absolut unverständlich, ja ich glaube sogar, dass man dieses Japanisch wohl schon eher als eine Sprache für sich bezeichnen kann, denn mit dem bekannten japanisch hat diese Sprache wohl noch kaum etwas gemein. Möglicherweise kann man das in Aomori gesprochene Japanisch in etwa mit der Sprachverwandtheit deutsch und holländisch vergleichen ...
Um Japanisch zu verstehen, muss man denke ich einige Zeit in Japan leben. Das „Lehrbuch-Japanisch“ ist das „Hoch-Japanisch“, welches in Tokyo gesprochen wird. Die Japaner verwenden wie eingangs schon erwähnt eine Vielzahl unterschiedlicher
Umgangssprachen mit abgestuften Höflichkeitsformen, je nachdem, wo und in welchen Kreisen man sich gerade bewegt. Gerade dies dient aber nicht gerade der einfachen Verständigung dem leichteren Erlernen der Sprache, da Lehrbücher dieser Besonderheit nur ungenügend gerecht werden können. Das in den Lehrbüchern verwendete Japanisch ist das „normal“ höfliche „schöne“ Japanisch, wie ich es mal bezeichnen möchte.
In der Familie und unter Freunden werden viele Floskeln nicht oder nur abgekürzt verwendet, so dass z.B. aus dem normal-höflichen „watashi wa wakarimasen“ (= ich verstehe nicht) ein höflichkeitsneutrales „wakara nai“ und in der Familie oder unter Freunden ein „wakaran“ wird. Derartige Abwandlungen bestimmter Ausdrücke gibt es im Japanischen sehr viele. Wenn man dies nicht weiß oder um die Bedeutung der Abkürzungen weiß, so erlebt wie ich sein blaues Wunder, wenn man nach Japan kommt und feststellt, dass man sich eben leider nicht wie erhofft verständigen kann.
In in hochpreisigen Geschäften und Restaurants sowie in Hotels und Museen wird häufig ein äußerst höfliches Japanisch verwendet, dass ebenso schwierig zu verstehen ist, da im Japanischen die normal gebräuchlichen Verben durch andere, höflichere und bescheidenere Verben ausgewechselt werden.
Auch ältere Japaner verwenden oft nicht nur ein altes Japanisch sondern zusätzlich auch noch eine Vielzahl von höflichen Ausdrucksformen, die die Verständigung mit diesen nicht unbedeutend erschweren. Nicht selten brauchte ich einen „Dolmetscher“ für die Übersetzung des alten Japanisch in das heute übliche Japanisch, um überhaupt den Sinn der an mich gerichteten Frage zu verstehen.
In der Nähe von Tokyo, wo ich bei jedem meiner Japanaufenthalte eine befreundete Familie besuchte, versuchte sich die in der Familie lebende Großmutter auch mit mir zu unterhalten. So wie sie es gewohnt war, wahrte sie gegenüber Fremden Distanz und benutzte ein sehr höfliches Japanisch, welches mir zunächst von der Mutter in Alltags-Japanisch "übersetzt" werden musste. Zum Ende meines Aufenthalts sagte die Mutter dann immer zur Oma nur noch mahnend "Obachan..." und dann verwendete die Großmutter das mir zwischenzeitlich einigermaßen geläufige übliche Familien-Japanisch.
Ich erinnere ich in diesem Zusammenhang noch gut an den Besuch bei einer Familie in Nagoya. Von den anfänglichen Verständigungsschwierigkeiten abgesehen (Nagoya-ben) hatte mich wohl der Großvater in der Familie besonders ins Herz geschlossen, denn er löcherte mich mit Fragen, die zwar schwer aber doch einigermaßen zu verstehen waren. Jedenfalls nahm er mich am nächsten Tag mit zu einem gleichaltrigen Freund, mit dem er früher zusammen gearbeitet hatte. Dieser baute früher Häuser und fertigte jetzt Holz-Modelle von bekannten japanischen Bauwerken an, wofür er auch schon mit einigen Preise ausgezeichnet worden war. Dies wusste ich aber zunächst noch nicht. Als er mich in seine Werkstatt führte, sah ich dort einige halbfertige Bauwerke und fragte ihn daraufhin der höflichkeit halber um Interesse zu bekunden, ob dies seine Arbeit oder sein Hobby sei. Daraufhin begann er zu erzählen. Er hielt einen über beinahe 1,5 Stunden andauernden Vortrag zur japanischen Geschichte wobei ich von seinen sicherlich äußerst interessanten Ausführungen lediglich einige Namen und Jahreszahlen verstand.
Im Japanischen ist es üblich, dass man im Verlauf eines Gesprächs einige kurze Äußerungen des Erstaunens oder der Bestätigung einfließen lässt. Also verhielt ich mich entsprechend, wobei ich aber zugleich aufpassen musste, dass ich eine im Verlauf dieses eventuell Gesprächs an mich gerichtete Frage auch verstehen und beantworten konnte. Eine kurze Frage konnte ich nicht verstehen, worauf er ein sehr altes Wörterbuch hervorholte, dass noch aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg stammte. Ein bei ihm in die Lehre gegangener Deutscher hatte dieses Nachschlagewerk wohl bei ihm zurückgelassen. Aber dieses Wörterbuch half nur bedingt weiter.
Um es kurz zu machen: Wenn Sie Japanisch aus einem Lehrbuch lernen, so werden Sie mit Sicherheit Probleme mit der Verständigung in Japan haben. Um Japanisch zu verstehen dürfte es wohl unerlässlich sein, einige Zeit in Japan zu leben.
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