FREIHEIT DER RELIGION

Japan ist ein Land, in dem zwei Religionen dominieren: Der Buddhismus und der Shintoismus. In der Tat begegnet man überall im Land vielen kleinen und größeren Schreinen oder Tempeln. Man findet Buddha-Statuen und Heiligen-Figuren sowie Shinto-Götter. Das Christentum bildet mit nur rund 2% eine kaum nennswerte Minderheit in Japan.

Interessant ist, dass in Japan die verschiedenen Religionen in tat friedlich nebeneinander existieren. Bemerkenswert ist besonders die Koexistenz der ureigenen Shinto-Religion der Japaner mit dem Buddhismus. Der Baugrund neuer Häuser wird ebenso wie das neue Haus nach Shinto-Ritus gesegnet und von bösen Geistern befreit. Geheiratet wird für gewöhnlich nach Shinto-Ritus, während die Bestattung und die Totenehrung meist nach buddhistischem Ritus erfolgt.

Wenngleich sich viele Japaner als keiner Religion angehörig bezeichnen, so wissen sie doch, wie man sich am Schrein oder Tempel richtig verhält. Hierzulande wissen viele leider noch nicht einmal, wie man sich in der Kirche richtig verhält.

Unlängst habe ich gesehen, dass im Wiener Stephansdom nunmehr der Hauptteil der Kirche abgesperrt ist und nur noch mit einer Führung betreten werden kann. Darauf angesprochen meinte der Führer zu mir: „Wissen Sie, die Menschen sind so respektlos in der Kirche. Es gibt wirklich nichts, was ich noch nicht erlebt hätte...“

Die meisten Japaner verbinden wohl mehr oder weniger stark zwei Religionen in sich: den Buddhismus und den Shintoismus, wobei sie mehr oder weniger stark in die eine oder andere Richtung tendieren. Dennoch gehen die Japaner sehr leicht mit der Religion um. Es fehlt die gewisse Ernsthaftigkeit, die in westlichen Landen als selbstverständlich angesehen wird. Zum Beispiel wird zu O-Bon, dem japanischen Allerseelen-Fest Mitte August, darüber gescherzt, dass die Seele des verehrten Toten, dessen an diesem Tag gedacht wird, nicht heimkehren werde, wenn man die Regeln nicht beachtet. Eine solche Aussage - ja allein schon der Gedanke - würde sicher von vielen Christen als Frevel und Gotteslästerung angesehen werden, da dies in etwa mit dem Zweifel an der Auferstehung oder dem Ewigen Leben gleichzusetzen ist.

Trotzdem möchte ich nicht bezweifeln, dass die Japaner in der Ausübung ihrer Religion weniger tief und ernst sind. Ich frage mich vielmehr manchmal, ob wir im Westen verschiedene Seiten der Religion nicht vielleicht doch einfach zu ernst angehen und damit den Sinn für das Wesentliche verlieren, indem wir uns zu sehr auf Äußerlichkeiten konzentrieren.

Vielleicht verstehen die Japaner aber auch die Shinto-Kultur oder Buddhismus weniger als Religion, sondern eher als Lebensweise, als Empfehlung sein Leben auf die rechte Weise auszurichten.

Meist beschränkt sich das religiöse Leben auf wenige wichtige Anlässe im Jahr wie Shogatsu (Neujahr) und O-Bon, zu denen viele Japaner Tempel und Schreine aufsuchen. Eines ist aber gleich: Die jungen Menschen interessieren sich kaum für Religion, während sich Alte und Kranke der Religion mehr zuwenden.

Shinto-Priester und in den Shinto-Schreinen arbeitende sind übrigens „ganz normale“ Menschen. Sie üben nur eben einen besonderen Beruf aus. Im Buddhismus ist dies ein wenig anders. Es gibt dort auch große Männer- und Frauen Klöster. Das Leben der Mönche und Nonnen ist streng geregelt. Die Vorsteher der kleinen, lokalen Klöster sind in der Regel verheiratete Männer. Vielleicht ist die Übersetzung mit „Kloster“ auch nicht ganz richtig, denn diese lokalen Klöster sind unseren Kirchen und den dort tätigen Priestern nicht unähnlich, nur dass es es dem „O-Tera-san“, wie der buddistische Priester genannt wird, anders als dem katholischem Priester erlaubt ist, zu heiraten.

Bemerkenswert ist, mit welch großem Respekt die normalen Japaner dem Priester begegnen. Er selbst spricht ein äußerst höfliches Japanisch und entsprechend verwenden auch die übrigen Personen, die mit ihm zu tun haben, ein sehr höfliches, respektvolles und distanziertes Japanisch. Hierzulande wird Priestern und Ordensleuten nicht einmal halb soviel Respekt entgegen gebracht. Selbst einem Bischof wird mit weniger Höflichkeit begegnet, als sie in Japan jeder „normale“ buddhistische Priester erfährt.


Aberglaube